Matthias Bonitz
Musikalische Begegnungen
I: Herkunft:

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02 Dez 2019

In die Mulde meiner Stummheit leg ein Wort

Erstaufnahme mit Yi Lu, Julia Wasmund, Pillwoo Chun

Sich Erinnern

Mahnende Lyrik von Ingeborg Bachmann

 

Nie hätte ich gedacht, dass mahnende Worte wie in den Gedichten von Ingeborg Bachmann wieder diese Aktualität erhalten: gerade in unserer Zeit, einer Zeit der „sprachlichen Brandstifter“, der Wegbegleiter, Vorbereiter zur Verrohung und Umwandlung unserer Gesellschaft – siehe Angriffe auf jüdisches Leben in Deutschland – jüngst in Halle / Saale und andernorts. Und trotzdem erstarkt der rechten Rand mit einem Faschisten als Führer– zuletzt in Thüringen.

Keiner kann heute mehr behaupten er hätte nichts gewusst oder das nicht so gemeint oder es war „nur eine Protestwahl“. Keiner!

„Austesten“, wie weit man seine antisemitischen Äußerungen öffentlich zuspitzen kann, ohne staatlicher Repression ausgesetzt zu sein, wie am 9.11. bei einer DEMO der Holocaust – Leugner in Bielefeld, sind untrügliche, unerträgliche Agitationen der rechtspopulistischen Gesellschaft.

Es gibt genügend Mahner: Ingeborg Bachmann, Paul Celan, Nelly Sachs oder auch die „Deutschstunde“ von Sigfried Lenz und viele andere.

Nach Ansicht von Jacques Schuster gibt es im deutschsprachigen Raum überhaupt nur zwei Schriftsteller, „die es vermochten, das jüdische Schicksal in Worte zu fassen: Paul Celan und Nelly Sachs“.[1]

Zustände müssen beschrieben werden – wie in Ingeborg Bachmanns „Psalm“ oder auch „Geh, Gedanke“

Man kann es auch als „Nachgeburt der Schrecken“ bezeichnen, wie Ingeborg Bachmann es in ihrem Gedicht „Psalm“ benennt.

„Erstaunlicherweise kommt der Hass von jungen Menschen, die nicht wissen, was hier vor 80 Jahren geschah. Die 3. Generation ist ahnungslos, nicht nur in Deutschland, sondern überall. Das müssen wir ändern.“ So äußert sich der Vorsitzende des jüdischen Weltkongresses, Ronald Lauder bei seinem Besuch in Halle (Zitat: FAZ Feuilleton, 26.10.2019)

Das sind sehr mahnende Worte, sie gelten meiner Ansicht nach nicht nur für die jüngere Generation, sondern auch für Ältere, die um diese Zusammenhänge wissen sollten, quer durch die ganze Gesellschaft.

Ich möchte hiermit ausdrücklich den Aufruf des Deutschen Musikrates vom 30.10.2019 – Musikpolitik:  Musik machen – Haltung zeigen: Mitglieder des Musikrates engagieren sich für eine demokratische, weltoffene Gesellschaft und für Kulturelle Vielfalt unterstützen.

Wenn man die zeitliche Herkunft Bachmanns – auch von Nelly Sachs, die Bachmann in Zürich anlässlich der Verleihung des Droste Preises in Meersburg getroffen hatte, - unter dem Joch der NS Zeit betrachtet und in diesem Licht ihre Empfindlichkeit/Empfindsamkeit einbezieht, bekommen jedenfalls für mich ihre Lyrik und auch Bachmanns Roman Malina eine zusätzliche so starke Bedeutung, dass man allen Anfängen des Rechtspopulismus, der sich gerade auch in Deutschland und Europa breit macht, vehement zur Wehr setzen muss.

Schicksale wie Nelly Sachs und auch Bachmann, Paul Celan, jede auf ihre Art, sind dazu exponierte Mahner.

Bach­mann geht in ihrer Lyrik an die Grenze der Sprache und er­weist diese Grenze als Ort von Visionen. Sie warnt vor drohenden Ge­fah­ren; sie erin­nert an vergangene Ereignisse, die nicht in Ver­ges­sen­heit geraten dürfen; sie sa­gt voraus, welche Kon­sequenzen be­stimm­te Hand­lungen haben werden.

Das Gespinst der „tragischen Spinnen der Gegen­wart“ ist un­durch­sichtig, sie verkleben die Augen und verschleiern die Wahrheit. Aber das Ver­stummen soll nicht das letzte Wort haben. Deswegen bittet die Verstummte:

„In die Mulde meiner Stummheit
leg ein Wort
und zieh Wälder groß zu beiden Seiten,
dass mein Mund

ganz im Schatten liegt.“

Mahnende Lyrik von Ingeborg Bachmann musikalisch emotionalisiert

Ersteinspielung „Psalm“ und „Geh, Gedanke“

Musik: Matthias Bonitz, Gedichte von Ingeborg Bachmann

In meiner Vertonung der Bachmann Gedichte versuche ich besonders, die musikalische Sprache Bachmannns aufzunehmen und in meiner Emotionalität zu interpretieren, in der Hoffnung, Ingeborg Bachmanns Lyrik als mahnende Worte nicht verstummen zu lassen.

Yi Lu: Bass Bariton – Julia Wasmund: Cello – Pillwoo Chun: Klavier


Drensteinfurt, 31.10.2019; Matthias Bonitz

[1] Jacques Schuster: Stimme der Verlorenen in: WELT vom 19. November 2011 ; eingesehen am 24. September 2016


 

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