Matthias Bonitz
Musical encounters
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06 Aug 2020

Oratorium Wir sagen uns Dunkles

Weltliches Oratorium zur konflikthaften Beziehung Paul Celans und Ingeborg Bachmann. Libretto: Gedichte von Paul Celan, Ingeborg Bachmann, Psalm 38,Verse aus Psalm 22,25,28,79.

Es ist Zeit, dass man weiß!

Dieser Kernvers aus Paul Celans Gedicht

Corona

ist aktueller denn je.

Nie hätte ich gedacht, dass mahnende Worte wie in den Gedichten von Paul Celan und Ingeborg Bachmann wieder diese Aktualität erhalten: gerade in unserer Zeit, einer Zeit der „sprachlichen Brandstifter“, der Wegbegleiter, Vorbereiter zur Verrohung und Umwandlung unserer Gesellschaft – siehe Angriffe auf jüdisches Leben in Deutschland – jüngst in Halle / Saale und andernorts. Und trotzdem erstarkt der rechte Rand mit einem Faschisten als Führer– zuletzt in Thüringen.

Keiner kann heute mehr behaupten, er hätte nichts gewusst oder das nicht so gemeint oder es war „nur eine Protestwahl“. Keiner!

„Austesten“, wie weit man seine antisemitischen Äußerungen öffentlich zuspitzen kann, ohne staatlicher Repression ausgesetzt zu sein, wie am 9.11.2019 bei einer DEMO der Holocaust – Leugner in Bielefeld, sind untrügliche, unerträgliche Agitationen der rechtspopulistischen Gesellschaft. Oder im Gestern (23.7.2020) zu Ende gegangenen NS Prozess in Hamburg gegen einen NS Wachmann im  KZ Stutthof, der sich nach wie vor für unschuldig hält!!

Es gibt genügend Mahner: Ingeborg Bachmann, Paul Celan, Nelly Sachs oder auch die „Deutschstunde“ von Sigfried Lenz und viele andere.

Nach Ansicht von Jacques Schuster gibt es im deutschsprachigen Raum überhaupt nur zwei Schriftsteller, „die es vermochten, das jüdische Schicksal in Worte zu fassen: Paul Celan und Nelly Sachs“.

Zustände müssen beschrieben werden – wie in Ingeborg Bachmanns Psalm oder auch Geh, Gedanke.

Man kann es auch als „Nachgeburt der Schrecken“ bezeichnen, wie Ingeborg Bachmann es in ihrem Gedicht Psalm benennt.

„Erstaunlicherweise kommt der Hass von jungen Menschen, die nicht wissen, was hier vor 80 Jahren geschah. Die 3. Generation ist ahnungslos, nicht nur in Deutschland, sondern überall. Das müssen wir ändern.“

So äußert sich der Vorsitzende des jüdischen Weltkongresses, Ronald Lauder bei seinem Besuch in Halle (Zitat: FAZ Feuilleton, 26.10.2019)

 

Das sind sehr mahnende Worte, sie gelten meiner Ansicht nach nicht nur für die jüngere Generation, sondern auch für Ältere, die um diese Zusammenhänge wissen sollten, quer durch die ganze Gesellschaft.

 

Ich möchte hiermit ausdrücklich den Aufruf des Deutschen Musikrates vom 30.10.2019 – Musikpolitik:Musik machen – Haltung zeigen: Mitglieder des Musikrates engagieren sich für eine demokratische, weltoffene Gesellschaft und für Kulturelle Vielfalt unterstützen.

Celan, der 1920 in Czernowitz geborene Jude, der die Shoa nur knapp überlebt hat, Bachmann, Tochter eines frühen NSDAP Mitgliedes aus Klagenfurt. Schmerz, Schuld, Desillusion und Erlösungsbegehren prägen diese Liebesbeziehung bis zum bitteren Ende.

In diesem Zusammenhang ist besonders nachfolgender Beitrag empfehlenswert:

Deutschlandfunk

Studio 9 |

Beitrag vom 20.04.2020 Fünf Gründe, Paul Celan zu lesen

Ein Dichter als moralisches Korrektiv

Von Thorsten Jantschek

„Corona“, so lautet der Titel eines Gedichts von Paul Celan von 1952. Die Aktualität des Dichters in der unserer Gegenwart erschöpft sich damit aber noch lange nicht, findet Redakteur Thorsten Jantschek.

Erstens:

Weil bei Paul Celan „Corona“ noch schlicht der Titel eines Gedichts sein durfte. Und da geht’s nicht um einen gefährlichen Virus, sondern um die himmlischen Freuden irdischen Glücks: um Himmelszeichen und sinnliche Liebe.

Zweitens:

Weil er ein moralisches Korrektiv ist. Denken wir daran, wie ein gerade gewählter Ministerpräsident in Thüringen dem AfD Rechtsaußen Björn Höcke die Hand reichte. Paul Celan fragte sich ständig „Wem in Deutschland man die Hand geben kann, ohne ein schlechtes Gewissen zu haben.“ Daraus können wir einiges lernen. In kontaktarmen Corona-Zeiten durchaus auch im metaphorischen Sinne.

Drittens:

Weil wir ihn für unsere Erinnerungskultur brauchen. Die Nazizeit ist eben kein „Vogelschiß“ in der deutschen Geschichte, sondern: Der Tod bleibt ein Meister aus Deutschland.

 

Viertens:

Weil genau aus diesem Grund – und dafür steht das Werk und das Leben von Paul Celan – jene erinnerungspolitische Wende um 180 Grad, wie sie die AfD fordert, niemals vorkommen darf.

Fünftens:

Weil in diesen Zeiten, in denen wir von existentiellen Sorgen überflutet werden, in Skypeschalten kommunikativ geknebelt sind oder vom Home-Office-Schooling mürbe geworden sind, kaum mehr die Gelegenheit bleibt, die welterschließende Kraft der Sprache zu erfahren, außer vielleicht in einem Gedicht, am besten in einem von Paul Celan.

Wir sagen uns Dunkles

Oratorium für Sopran – Tenor – Chor - Orchester[1]

Mein – weltliches – Oratorium in 4 Teilen Wir sagen uns Dunkles beleuchtet musikalisch das Verhältnis und den großen Konflikt von zwei der bedeutensten Protagonisten der deutschen Nachkriegsdichtung: Ingeborg Bachmann und Paul Celan.

Aufschlussreich ist der Titel des Oratoriums: Wir sagen uns Dunkles = der Geheimcode dieser Beziehung von Beginn (1948) bis zum Tode für beide; Wir sagen uns Dunkles ist eine Kernaussage aus dem Gedicht Corona von Paul Celan, 1948 in Wien geschrieben und im Gedichtband Mohn und Gedächtnis von P. Celan erschienen[2].

Das Oratorium ist in 4 Teile – oder auch Abteilungen – gegliedert.

Grundlage meiner Komposition sind 6 Gedichte von Paul Celan und 7 Gedichte von Ingeborg Bachmann und Psalmen.

Im 1.Teil beziehe ich mich in erster Linie auf die Herkunft Celans. Die Juden der Bukowina waren nach dem Ende des Ersten Weltkrieges noch lange Zeit die Bewahrer der deutschen Sprache und Kultur. Der Dichter Paul Celan stammt von dort, „einer Gegend“, wie er selbst formulierte, „in der Menschen und Bücher lebten“.

Das Schicksal der Juden in der Nazi Zeit und deren Auswirkungen auf die Überlebenden wie Celan, der Zeit seines Lebens an einer „Überlebensschuld“ litt, ist Inhalt des 1. Teiles, hier instrumental eingeleitet durch Auszüge aus meinem Klavierquartett Schachnovelle (nach Stefan Zweig). Auf Hebräisch folgt der Psalm 38 (2013 in Zusammenarbeit mit der jüdischen Kantorin Mimi Scheffer aus Berlin). Tenebrae 75[3] ist nach dem Gedicht Tenebrae von Paul Celan benannt, dass ich in der Einleitung mit Versen aus den Psalmen 22, 25, 28 und 79 erweitert habe, eingefügt auch auf Hebräisch das  Schma`JIsrael Adonai elohenu Adonai echat.[4]

Der 1. Teil schließt mit den Gedichten Geh, Gedanke von Ingeborg Bachmann, Psalm (Celan) und  Psalm (Bachmann).

Der 2. Teil setzt sich mit der intensiven Liebesbeziehung im Sommer 1948 auseinander, für diese Zeit stehen die Gedichte In Ägypten (Celan), Es könnte viel bedeuten (Bachmann), Corona (Celan) und Entfremdung (Bachmann).

Im 3. Teil wird die wiederaufflammende Liebesbeziehung 1957 (Tagung in Wuppertal und Hotel in Köln) thematisiert durch die Gedichte Köln, Am Hof (Celan), Erklär mir, Liebe (Bachmann) und Nachts, wenn das Pendel der Liebe schwingt (Celan).

Im 4. Teil: Finale steht für „die Unmöglichkeit eines Zusammenlebens“, wie Bachmann diese Beziehung bereits 1951 in einem Brief an Hans Weigel charakterisiert. Diese Tragik versuche ich darzustellen durch meine Tondichtung Kagrans Flucht nach dem Binnenmärchen aus Bachmanns Roman Malina, das sich auf Celan (geheimnisvoller Fremder) bezieht und nach Celans tragischem Suizid 1970 von Bachmann in den Roman aufgenommen wurde. Den Abschluss bilden die Gedichte Lieder auf der Flucht XV (Bachmann) und Thema und Variation (Bachmann).

Musikalische Form:

Das vorliegende Oratorium ist bisher in kammermusikalischer Besetzung komponiert, für Sopran oder Tenor (wechselnd oder auch als Duett), für Chor (SSAATTBB) im Instrumentalbereich für Cello, Klavier oder Orgel unterschiedlich eingesetzt.)

Geplant ist eine Fassung für mit Sopran / Tenor / Chor / großes Orchester.

Bei der Orchestrierung wird es wahrscheinlich noch zu Änderungen kommen wie Überarbeitung der vorhandenen Partituren und andere Übergänge, die in der Klangfarbenvielfalt des Instrumentariums sinnvoll und möglich werden könnten.

Matthias Bonitz, 6. August 2020

 

©2020  www.bonitz-classic.de

 


[1] Urfassung in kammermusikalischer Form: Sopran – Tenor – Chor - Violoncello – Orgel – Klavier (unterschiedliche Besetzung einzelner Gedichte), als Vorlage der Fassung für das geplante Oratorium mit Orchester

[2] Siehe Helmut Böttiger: „Wir sagen uns Dunkles“ 4. Kapitel „ Es ist Zeit, dass man weiß! Ab Seite 50 (DVA Verlag)

[3] Die Zahl 75 bezieht sich auf: 75 Jahre Befreiung des KZ Auschwitz am 27. Januar 1945; am 27 Januar 2020 habe ich diese Komposition beendet; daher die Zahl 75 (75 Jahre: 1945 – 2020)

[4] In Celans Leseexemplar von Kafkas Erzählungen findet sich innen am Umschlag diese  Eintragung von Celan (handschriftlich) auf Hebräisch

Quelle: Literatur und Religion – Januar 2006 – Essay:

Hubert Gaisbauer: Aufmerksamkeit fordernd, aber zu Grunde interpretiert


 

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